Kraft zur Höhe

»Erreichen wir die Höhen natürlicher Berge, empfinden wir dies als Privileg. Wir ragen höher auf als der Gipfel, auf dem wir stehen. Das Höchste der Natur liegt, zumindest an diesem Ort, unter den Sohlen unserer Füße. Stehen wir dort, sind wir Könige der sichtbaren Welt. Um uns her ist alles niedriger: Das Leben ist ein abfallender Hang, eine ruhende Ebene zu Füßen der Erhebung und des Gipfels, zu dem wir geworden sind.

Alles an uns ist Zufall und List, die Größe, die wir erreicht haben, haben wir nicht; wir sind in der Höhe nicht größer als wir groß sind. Selbst das, was wir mit Füßen treten, erhöht uns; und wenn wir hoch stehen, dann, weil wir höher stehen.

Man atmet besser, wenn man reich ist; man ist freier, wenn man berühmt ist; selbst ein Adelstitel ist ein kleiner Berg. Alles ist Trug, aber nicht einmal der Trug ist unser Werk. Entweder wir besteigen den Berg, oder man bringt uns zum Berg, oder aber wir kommen im Haus auf dem Berg zur Welt.

Wirklich groß hingegen ist, wer zu der Einsicht gelangt, daß die unterschiedliche Entfernung vom Tal zum Himmel oder vom Berg zum Himmel keinen Unterschied macht. Sollten die Fluten steigen, wären wir besser auf dem Berg. Doch sollte uns Gott wie Jupiter mit zuckenden Blitzen verfluchen oder wie Äolus mit entfesselten Winden, wären wir geschützter im Tal und am sichersten bäuchlings auf dem Boden.

Wahrhaft weise ist, wer die Kraft zur Höhe in den Muskeln hat und in seiner Einsicht den Aufstieg ablehnt. Mit seinem Blick besitzt er alle Berge, mit seiner Position alle Täler. Die auf den Gipfeln goldene Sonne wird für ihn noch goldener sein als für den, der ihr in der Höhe ausgesetzt ist; und das hohe Schloß im Wald ist schöner für den, der es vom Tal aus betrachtet, als für den, der es in den Sälen, die ihm zum Gefängnis werden, vergißt.« (Fernando Pessoa)

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